Das kann endlich weg!
Licht fällt ein. Mein Blick geht in den Garten hinaus. Nach der klirrenden Kälte der letzten Wochen wagen sich nun sehr feine Sonnenstrahlen durch die Fenster in meine Wohnung. Ich schließe die
Augen und atme die angewärmte Luft tief ein, und mit einem schweren Seufzer, in das vor mir liegende Chaos wieder aus. Denn während draußen die zwitschernden Blaumeisen zwischen den noch kahlen
Ästen der Magnolie ihren Frühjahrputz zu beginnen scheinen, sitze ich zwischen Bergen von Kartons, Aktenordnern und Papierstapeln.
Weder Umzug noch Renovierung zwingen mich zu diesem Martyrium, vielmehr die all(früh)jährliche Aussage: Wir könnten ja mal was aussortieren.
Frei nach Marie Kondo wird daher jeder Schrank und jede Kommode gesichtet, ausgeräumt, sortiert und Übriggebliebenes entsorgt. Was keine Verwendung hat oder mich nicht glücklich macht – fliegt
raus. Klingt simpel! Entsorgung einfach wörtlich nehmen: Ent-Sorgen! Freimachen von ausrangierten Gegenständen, oder sinnfrei angesammelten Nippes. Das hat man mir jedenfalls gesagt!
Und irgendwie scheint etwas Wahres dran zu sein: Wenn ich meinen Blick durch meine vier Wände schweifen lasse, fällt mir auf an wie vielen Dingen negative Gedanken oder gescheiterte
Vorhaben hängen. Das reparier ich noch irgendwann… oder Das gehört zu dem einem Gerät, wo der Deckel fehlt. Den muss ich aber nochmal besorgen…irgendwann. Wie viele Papiere hätten schon lange
abgeheftet werden müssen, bevor sie schon gar nicht mehr für die Steuer relevant sind?! Sind wir mal ehrlich. Das könnte alles weg!
So stehe ich vor eben jenem letzten Mount Watwillischdomit, möchte mich befreien und doch fällt es mir ungeahnt schwer. Grund dafür ist mein neunjähriger Neffe. Der mir beim Aussortieren „hilft“,
indem er aus den Trümmern meiner Wegwerforgie, die unnützesten Teile wieder herausklaubt und mich bei jedem Gegenstand erbost wie erstaunt anraunzt:
Das hier jetzt aber nicht wegschmeißen… das kann man noch gebrauchen!
Nun stelle ich mir selbst diese Frage: Kann man diese Dinge wirklich noch gebrauchen? Welchen PC mit CD-Laufwerk könnte ich auftreiben, um noch einmal die Goldedition I der Drei ??? für Windows 7
und MAC OS X mit zusätzlichen Bildauflösungen zu spielen. An welchem Partyabend fänden die Audio-Kassetten von Roger Whitaker und Eugen Cicero nochmal Verwendung? Wo genau hänge ich mir denn
jetzt den ausgebleichten Kunstdruck von Max Ernst auf, weil der Rahmen ja noch gut ist?
Irgendwo hat er recht. Einiges ist quasi wie neu: Die eingeschweißte Spindel mit den 700MB CD-Rohlingen beispielsweise. Oder die noch nie benutze Kaffeetasse mit dem fetzigen Aufdruck Ohne dich
ist alle doof. Alles in seiner Funktion noch einwandfrei.
Doch was soll ihm denn sagen? Wenn etwas selbst in dem „zu verschenken“ Karton vor meiner Haustür keinen Abnehmer mehr findet – kann es dann nicht einfach mal in den Müll? Wie erkläre ich ihm,
dass man die originalverpackten Fondue Teller wirklich nie mehr brauchen wird. Auch nicht dann, wenn man Fondue macht!
Warum hast du das denn überhaupt gekauft, wenn du es nie brauchst und dann wegschmeißt?
Und an diesem Punkt gebe ich ihm recht. Warum machen wir das? Haben wir das Gleichgewicht zwischen Konsum und Überfluss verloren? Warum finden wir es OK, ja teilweise sogar befreiend Dinge
wegzuschmeißen. Entsorgung als Wochenendbeschäftigung in einer Welt, die nach Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz schreit. Ich versuche meine Gedanken zu bündeln. Dann nehme ich ein altes
Geburtstagsgeschenk aus dem Regal und fange an:
Weißt du, wir leben in einer Gesellschaft, in der es üblich ist, dass wir zum Geburtstag ein Porzellan Sparschwein mit unserem Gesicht drauf geschenkt bekommen. Dieses bewahren wir
anstandshalber jahrelang auf, auch wenn wir es hässlich finden. Wir befüllen es nie, weil wenn wir dann mal an den Notgroschen wollen, müssten wir das Schwein zerschlagen. Das wäre zu
schade! Deswegen räumen wir es irgendwann in den Keller, bis wir es schließlich mit den Worten: „Das kann jetzt aber endlich mal weg“ in den Müll schmeißen - Ohne jemals mit dem Hammer
draufgeschlagen zu haben. Und dann fühlen wir uns wieder gut.
Das macht ja gar keinen Sinn!
Das stimmt. Sinn macht das nicht!
Wir beide schweigen.
Ein paar Stunden später ist es geschafft. Meine Schränke sind wieder eingeräumt, die Schubladen sortiert und die Regalbretter befreit. Ich atme zufrieden aus. Endlich wieder Luft. Dieses
Ent-Sorgen funktioniert. Ich fühle mich fast ein so vogelfrei, wie die Blaumeisen auf ihrem kahlen Ast.
Ein schlechtes Gewissen? Habe ich nicht!
Die drei Kisten mit den ausrangierten Teilen haben dann doch noch einen Abnehmer gefunden. Und auch wenn ich weiß, dass die Fondueteller in seinem Kinderzimmer eigentlich keinen Platz haben, ist
es doch schön zu wissen, dass es immer Menschen gibt, die den Wert der eigentlich verlorenen Dinge erkennen und zu schätzen wissen. Und ob sie ihn dann wirklich glücklich machen…
Ist nochmal ein ganz anderes Thema!
Hier sitze ich und schreibe.
Also kommt bald was Neues!